23. Februar 2023

Interview Streetworker

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Einleitende Fragen
1. Wer bist Du?
Tiemo Imhof und Derick Addy

2. Was ist Deine Rolle bei KohleG?
Derick Addy: Wir sind beide gewählte Mitglieder des Vorstands der kohleG, Gründungsmitglieder der Genossenschaft und leiten gemeinsam das Projekt „Streetwork in der Düsseldorfer Altstadt“.

3. Warum machst du diesen Job gerne?
Tiemo Imhof: Uns gefällt es, mit jungen Menschen zu arbeiten, etwas aufzubauen und zu sehen wie sich sowohl die jungen Menschen als auch unsere Strukturen entwickeln. Wir haben in der Genossenschaft schon von Beginn an ein tolles kreatives und engagiertes Team und nun ist es uns gelungen, auch für die Arbeit in der Altstadt und auf der Rheinuferpromenade motivierte und erfahrene Kolleg:innen zu gewinnen, denen wirklich etwas an den jungen Menschen liegt, mit denen wir arbeiten. Darüber hinaus bietet der Job die Möglichkeit, viel an der frischen Luft zu sein und gut gelaunte Menschen zu treffen.

Deskriptive Fragen
1. Was ist das für ein Projekt, für das Du/Ihr in der Altstadt arbeitest?
Derick Addy: Seit April 2022 sind wir als kohleG durch das Jugendamt Düsseldorf beauftragt, ein Team von Streetworker:innen aufzubauen, mit dem wir vom Stadttor bis zur Kunstakademie zwischen Heinrich-Heine-Allee und Rheinufer unterwegs sind. Vor Ort suchen wir den Kontakt zu Jugendlichen und jungen Erwachsenen zwischen 12 und 27 Jahren und versuchen, durch pädagogische Methoden präventiv zur Deeskalation und Gewaltvermeidung vor Ort beizutragen. Darüber hinaus bieten wir den jungen Menschen unsere Hilfe bei Problemen jeglicher Art an.

2. Wo in der Altstadt bist Du/Ihr unterwegs?
Derick Addy: Wir sind vor allem an den Orten und Plätzen anzutreffen, an denen sich die Jugendlichen und jungen Erwachsenen aufhalten und wo es Gelegenheit gibt, mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Über den Sommer waren das vor allem die Rheinuferpromenade, die Wiese und der Skateplatz am Apollo Varieté Theater, der Bolker Stern und das Alte Hafenbecken. Straßen, die ab einer gewissen Uhrzeit sehr voll und eng sind, wie die Bolker Straße oder die Kurze Straße, eignen sich nur bedingt für unsere pädagogische Arbeit, weshalb diese Orte von uns - wie von vielen Jugendlichen auch - meist nur als Durchgang genutzt werden.

3. Wann bist Du/ihr immer in der Altstadt als Streetworker anzutreffen?
Tiemo Imhof: Wir sind freitags, samstags und um oder an Feiertagen zwischen 17-2 Uhr unterwegs.

4. Wie kann man sich Deine/Eure Arbeit vor Ort vorstellen?
Derick Addy: Wir laufen viel herum und beobachten. An einem Wochenende (Freitag, Samstag) kommen unsere Streetworker:innen schon mal auf 30-40 Kilometer Wegstrecke. Immer wieder kommen wir dabei mit Jugendlichen oder jungen Erwachsenen ins Gespräch. Dies kann auf verschiedene Art und Weise geschehen. Zum einen sind wir durch unsere bunten Jacken mit dem Aufdruck „Streetwork“ für unsere Zielgruppe, aber auch für andere Altstadtbesucher:innen und Anwohner:innen gut zu erkennen, so dass wir immer wieder angesprochen werden. Zum anderen suchen wir selbst das Gespräch zu den jungen Menschen. Meist, in dem wir einfach auf eine Gruppe zu gehen und uns vorstellen. Manchmal aber auch, weil sich eine Gruppe auffällig oder respektlos verhält und wir die jungen Menschen dann mit dem, was wir beobachtet haben, konfrontieren. Immer wieder setzen wir auch besondere Methoden wie Straßenumfragen oder sportliche, musikalisch-kreative oder spielerische Angebote ein, um den Kontakt zu den Jugendlichen herzustellen.

5. Was sind Deine/Eure Beobachtungen, wenn Du/Ihr in der Altstadt unterwegs seid?
Tiemo Imhof: Die meisten Menschen kommen in die Altstadt, Carlstadt oder zum Rheinufer, um eine gute Zeit zu verbringen, Spaß zu haben, etwas zu Essen oder Trinken, vielleicht neue Menschen kennenzulernen. Da unterscheiden sich die Jugendlichen und jungen Erwachsenen erst mal nicht von den älteren Erwachsenen.

Analytische Fragen
1. Wie erkennst du die Personen, mit denen Du/Ihr in Kontakt treten musst?
Derick Addy: Durch aufmerksames und wachsames Beobachten und durch Erfahrung. So wird es möglich, Muster zu erkennen und einen Riecher für Situationen zu entwickeln, die später noch eskalieren könnten.

2. Wie reagieren die Personen, mit denen Du/Ihr in Kontakt trittst?
Derick Addy: Das ist sehr unterschiedlich und situationsabhängig. Nicht jeder junge Mensch möchte zu jeder Zeit mit uns sprechen. Manchmal gibt es ein Misstrauen uns gegenüber und wir werden für die Zivilpolizei gehalten. Da ist dann erst mal Vertrauensaufbau nötig. Wir stellen aber insgesamt eine sehr große Offenheit unter den Jugendlichen unserer Streetworker:innen und unserer Arbeit gegenüber fest. Viele haben großen Respekt für das, was wir tun und freuen sich, uns regelmäßig zu sehen und mit uns zu sprechen. Nicht wenige erzählen uns schon bei der ersten Begegnung von persönlichen Erlebnissen und Problemen aus ihrem Leben.

3. Was konntest Du/Ihr bisher aus den Begegnungen in der Altstadt lernen?
Tiemo Imhof: Dass es sich um eine dynamische Situation handelt, für die es keine einfache Lösung gibt. Es gibt viele verschiedene Interessen und Interessensgruppen vor Ort, die alle gehört werden müssen und ihre Berechtigung haben.

4. Was sind, aus einer sozialen Perspektive betrachtet, die Probleme in der Altstadt, die zu der aktuellen Unsicherheit führen?
Derick Addy: Wenn wir auf unseren Auftrag schauen, dann geht es vor allem darum, etwas gegen die Gewalttaten der jungen Menschen zu unternehmen und sie gewissermaßen vor sich selbst zu schützen. Wenn wir mit Polizei, Ordnungsamt, Security-Diensten, Wirt:innen, Anwohner:innen oder den jungen Menschen vor Ort sprechen, dann geht es aber noch um viel mehr Themen. Vor allem das Thema Respekt spielt bei allen eine große Rolle.

5. Was sind aus Deiner Sicht die weiteren langfristig notwendigen Schritte?
Tiemo Imhof: Es gibt viele verschiedene Entwicklungen, die zu den aktuellen Beschwerden und Problemen führen, an denen wir gemeinsam arbeiten können. Aus unserer Sicht muss sich eine grundsätzliche Akzeptanz dafür entwickeln, dass Altstadt und Rheinuferpromenade öffentliche Orte sind, an denen sich zunächst erst mal alle Menschen berechtigt aufhalten dürfen und dort auch willkommen sind. Die Altstadt gehört weder allein den Wirt:innen und Hoteliers, noch den Anwohner:innen, noch irgendwelchen Jugendgruppen. Es muss sich deshalb langfristig ein Verständnis entwickeln, die Altstadt und das Rheinufer als Orte für alle Düsseldorfer und ihre Gäste zu begreifen. Die Jugendlichen und jungen Menschen müssen also grundsätzlich nicht nur als Problem, sondern mit ihren Bedürfnissen auch als Teil der Lösung gesehen werden.
Derick Addy: Darüber hinaus kann das Gewaltpotential nicht nur durch die Arbeit vor Ort reduziert werden. Wir müssen an die individuellen und strukturellen Problemlagen der Jugendlichen und jungen Erwachsenen ran, die das gewalttätige Verhalten vor Ort erst hervorbringen. Wir müssen es schaffen, die jungen Menschen in weiterführende Hilfsangebote zu vermitteln und das Umfeld der jungen Menschen systematisch in die Antigewaltarbeit miteinbeziehen.
Tiemo Imhof: Außerdem müssen wirtschafts-, arbeits- und sozialpolitische Veränderungen her. Nur so wird es möglich, nicht nur Messer vor Ort einzusammeln und Eskalationen kurzfristig zu verhindern, sondern das Gewaltpotential der jungen Menschen grundsätzlich zu reduzieren.

6. Was sind aus Deiner Sicht die weiteren kurzfristig notwendigen Schritte?
Tiemo Imhof: Wir müssen es schaffen, das Gewaltpotential der jungen Menschen vor Ort zu reduzieren, ohne sie einfach nur an andere Orte zu verdrängen. Dazu ist es zunächst notwendig, die Arbeit der verschiedenen Akteure vor Ort vernetzt und koordiniert fortzusetzen. Aus unserer Sicht sind wir hier nach einem halben Jahr gerade erst am Anfang. Insbesondere in der Zusammenarbeit zwischen Polizei, Ordnungsamt und Sozialarbeit ist es notwendig, die unterschiedlichen Sicht- und Arbeitsweisen kennenzulernen, wertzuschätzen und aufeinander abzustimmen. Solche Prozesse benötigen Zeit, da es hier auch darum geht, über Jahre aufgebaute Vorurteile durch eine gemeinsame Praxis abzubauen. Dies gelingt uns Woche für Woche besser und auch das vom Oberbürgermeister initiierte städtische Projekt „Sicherheit in der Innenstadt“ (kurz SIDI) trägt dazu bei.
Aktuell ist eine hohe Präsenz von Ordnungsamt und Polizei aus unserer Sicht notwendig, zum einen um durch Kontrollen die Waffen aus den Taschen zu bekommen und zum anderen im Konfliktfall schnell einschreiten zu können. Gleichzeitig steigert eine hohe Präsenz von uniformierten Kräften und eine hohe Kontrolldichte nicht bei allen das Sicherheitsgefühl. Auch das Gegenteil kann der Fall sein: Junge Menschen, die eigentlich nur gekommen sind, um friedlich zu feiern und andere Menschen kennenzulernen, fühlen sich schnell vorverurteilt und ungerecht behandelt. Hier versuchen wir zu vermitteln und werben um Verständnis.

7. Was benötigt Du/Ihr, um die weiteren Schritte umzusetzen?
Tiemo Imhof: In aller erster Linie Planungssicherheit und Kooperationsbereitschaft. Uns ist es in kurzer Zeit gelungen, trotz einer schwierigen Arbeitsmarktlage, ein tolles Team aus Fachkräften zusammenzustellen und Kontakt zu den Jugendlichen vor Ort aufzubauen. Nun gilt es, diese Kontakte zu festigen und die jungen Menschen auch in weiterführenden Hilfsangebote einzubinden. Dies gelingt nur über kontinuierliche Beziehungsarbeit. Erst wenn die jungen Menschen merken, dass wir uns wirklich für sie und ihre Problemlagen interessieren, sind sie bereit die ausgestreckte Hand, die wir ihnen bieten, auch zu ergreifen. Erst wenn sie merken, dass unsere Kolleg:innen ihnen wirklich weiterhelfen können, entwickeln sie eine Motivation, die Hilfe auch in Anspruch zu nehmen.
Derick Addy: Unsere Arbeit kann nur wirken, wenn wir junge Menschen ein Stück weit in ihrer Entwicklung begleiten können. Das Projekt wurde vom Jugendamt im November bis Ende 2023 verlängert. Das ist ein vernünftiger erster Schritt. Um aber Fachkräften auf einem umkämpften Arbeitsmarkt dauerhaft eine Perspektive zu bieten, benötigen wir im nächsten Schritt einen längeren Einsatzzeitraum beziehungsweise eine Vereinbarung über die längerfristige Zusammenarbeit mit der Stadt.

Abschlussfragen
1. Von was oder wem hängt der Erfolg oder Misserfolg dieses Vorhabens Deiner Meinung nach ab?
Tiemo Imhof: Von den Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die in die Altstadt kommen, von den Akteuren, die vor Ort mit den Jugendlichen und an der Sicherheit arbeiten, von den Anwohner:innen, Gastronom:innen und anderen Besucher:innen der Altstadt, ebenso von der Politik. Zusammengefasst: Von der Gesellschaft insgesamt. Wir haben es in der Düsseldorfer Altstadt mit einem Problemkomplex zu tun, dessen Ursachen weit über den Ort selbst hinausgehen und auch nicht allein vor Ort gelöst werden können.
Derick Addy: Unsere Arbeit ist ja auch Teil des Projekts „SIDI“ und hat somit Modellcharakter. Wenn es uns gelingt, in der Düsseldorfer Altstadt erfolgreich zu sein, dann ist dieses Handlungskonzept sicherlich auch auf andere („Party“-Hotspots) übertragbar.