15. Oktober 2023

Mein Glauben

Dsc 6854

Mein Glauben

 Als ich Karl Hans Danzeglocke zugesagt habe, einen Part in der Reihe „Ruhepunkt“ zu übernehmen, war dieser Termin noch weit weg. Sehr weit. Aber jetzt ist er plötzlich da. Auf was habe ich mich da bloß eingelassen? Wie gehe ich mit mir selbst um, frage ich mich.

Dieser Termin und der Ort, an dem er stattfindet, versetzen mich in eine Rolle, die ganz neu für mich ist. Und in die ich mich mit einiger Mühe erst hineinfinden muss.

Als Baas der Düsseldorfer Jonges habe ich zwar Bühnenerfahrung, aber heute Abend ist alles anders. In einem Kirchenraum zu sprechen, empfinde ich als eine Herausforderung, obwohl der Raum mir seit Kindheitstagen vertraut ist.

In einem Gotteshaus wird gebetet. Berufene verkünden das Wort Gottes. Da stelle ich mich ganz hinten an. Zugleich irritiert mich die Weisung aus Rom, Laien dürften nicht predigen.

Nicht zu wissen, wer einem zuhört, ist eine zweite Herausforderung. Und sich auf offener Bühne zu outen, sein Inneres nach außen zu wenden, eine dritte. Man macht das im Lebensalltag nicht gerade häufig. Und oft nicht ohne Not.

Damit will ich sagen: Souveränität im Umgang mit meinem Glauben dürfen Sie nicht erwarten. Auch ich bin wie Sie möglicherweise auch ein Suchender, Zweifelnder, Manchmal auch ein Verzweifelter.

Schon mit der Begrüßung habe ich Probleme: Wäre die Formulierung Liebe Zuhöre, liebe Zuhörerinnen die richtige? Könnte ich von Liebe Mitchristen sprechen? Oder gar von Freunden? Oder Brüdern und Schwestern, wie es hauptamtliche Kräfte der Kirche tun? Ich denke: Bei den lieben Zuhörern und Zuhörerinnen bin ich auf Abstand, sozusagen auf der sicheren Seite. Als bekennender Genderist muss ich natürlich auch die lieben Zuhörerinnen berücksichtigen. Also in der endgültigen Fassung: Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer.

Zunächst: Ich bin katholisch. Ganz klassisch bin ich in einem katholischen Elternhaus groß geworden. Ganz klassisch als Messdiener aktiv gewesen und habe auch Exerzitien-Erfahrung in Maria Lach. Ich bin also sozusagen katholisch sozialisiert. Und Messdiener bin ich zuweilen auch heute noch. Vornehmlich in der Maxkirche bei der Mundart-Messe.

Dass ich mein Berufsleben beendet habe, wird Sie nicht überraschen. Dass ich Banker war, füge ich deshalb hinzu, weil ein Banker mit Fakten umgeht und von philosophischen oder religiösen Betrachtungen qua Ausbildung ziemlich weit weg ist. Nachprüfbares zählt in dem Job, der von Zahlen bestimmt ist.

Seit 2012 bin ich im Ehrenamt Präsident der Düsseldorfer Jonges sozusagen für Gottes Lohn. Präsident im Ehrenamt, das klingt nach viel Freizeit. Tatsächlich aber sitze ich von morgens bis abends im Jonges-Haus an der Mertensgasse in der Altstadt, wenn ich nicht gerade Termine wahrnehme.

Die Jonges sind ein renommierter und einflussreicher Verein, dessen Mitglieder ziemlich stolz sind, dazuzugehören. Wir nennen uns Heimatverein, fühlen uns der Stadt und der Region verpflichtet. Kümmern uns mit vernehmlicher Stimme um die Entwicklung des Gemeinwesens Stadt. Vor allem kümmern wir uns um Projekte und Menschen, die ideelle und nicht selten auch finanzielle Hilfe benötigen.

Als ich das Amt übernahm, kannte ich die DNA dieses Vereins schon. Ich wusste, dass er sich nicht allein über Geselligkeit und Freundschaft definiert, sondern dass er auch ein Anliegen verfolgt. Zahlreiche soziale Projekte künden von der Überzeugung, dass eine Gesellschaft nur funktionieren kann, wenn sie Egoismen zügelt. Und wenn starke Schultern die Schwachen stützen. Wir nennen das Solidarität.

Als der Sturm „Ela“ 2014 über Düsseldorf hinwegfegte, waren wir zur Stelle. Um die Zerstörung städtischer Grünflächen zu reparieren, wollten wir die Stadt nicht allein lassen, sondern als Partner mit anpacken. Und wir waren später auch zur Stelle, als es um die Integration junger Kriegsflüchtlinge ohne Begleitung ging. Für sie haben wir ein Fußballcamp geschaffen, von dem die jungen Männer auch heute noch schwärmen und dass ihnen die Eingliederung erleichtert hat.

 Wer ein Düsseldorfer Jong werden will, braucht nicht allein zwei Bürgen. Er muss vor allem wissen, worauf er sich einlässt. Wir erwarten von ihm eine Grundhaltung, die mit Engagement gut beschrieben ist. Ich bin als Baas glücklich darüber, dass sich die 3400 Jonges nicht wegducken, wenn es um den Ruf nach Hilfen geht, die eine Stadt überfordern würde, wenn sie auf sich selbst gestellt wäre.

Es geht um eine Grundhaltung. Die ist nicht an eine Religionszugehörigkeit gebunden. Ob Christ, Jude, Buddhist oder Moslem: Wir haben es in unserer Stadt mit einer Pluralen Gesellschaft zu tun, die glücklicherweise offen ist gegenüber fremden Kulturen und Überzeugungen. Von dem liberalen Düsseldorf ist in den Medien oft anerkennend die Rede. Vor Jahrzehnten gab es in der Stadt mal ausländerfeindliche Tendenzen. Sie wurden mit einer Kampagne „Mach meinen Kumpel nicht an“ beantwortet.

Woher kommt eine Grundhaltung? Aus der Familie, der Erziehung, von Bildungseinrichtungen, dem Umfeld und dem Umgang. Wer die 10 Gebote verinnerlicht und die Bergpredigt für sich als wertvoll annimmt, hat sie, diese Grundhaltung. Es ist die Grundhaltung eines Christenmenschen. Eines Menschen, für den Jesus nicht etwa eine Romanfigur ist. An ihn zu glauben und ihm zu vertrauen, kommt nicht etwa als Einstiegsticket für eine Veranstaltung daher, die schöne Ewigkeit heißt. Glaube ruft nach Belegen, von denen es nicht nur in der Bibel eine Menge gibt, sondern auch im realen Leben.

Zu meinem persönlichen Glaubensbekenntnis gehören Hilfe und Zuspruch in Phasen, in denen ich durch Tiefen hindurchmusste. Und die Erfahrung, dass Gebete Kraft geben.

Ich bin dankbar für diese Hilfen. Jeder hier in diesem Raum weiß, wovon ich rede. Licht kennt auch Dunkelheit. In allen Weltreligionen gibt es jemanden, der für das Licht Sorge trägt. Niemand wird allein gelassen, so erfahren wir tröstend. Den Satz hören wir heute nicht nur in Fußballstadien, sondern auch von Politikern, wenn es um vergleichsweise unbedeutendes geht. Um Heizungsfragen zu beantworten, braucht es aber nichts Außerirdisches und auch kein Gebet.

Es hat Zeiten gegeben, in denen Glaubensbekenntnisse mit dem Tod bestraft wurden. Das ist zumindest heute hierzulande glücklicherweise nicht der Fall. In jeder Messfeier sprechen wir das Glaubensbekenntnis. Sagen wir das, weil es unserem Bedürfnis entspricht oder weil es von jeher als zentraler Bestandteil einer Messe immer dazugehört? Jedenfalls ist es ganz was anderes, in der Gruppe einen geübten Text zu wiederholen, als hier als Wolfgang Rolshoven zu stehen. Sich zu outen. Und zu sagen: Dieser Text bedeutet mir viel.

Einige von ihnen werden den TV-Moderator Peter Hahne kennen. Über viele Jahre hatte er immer sonntags wichtige Gesprächspartner. Heute legt der diplomierte Theologe auf Youtube regelmäßig sein Glaubensbekenntnis ab eine Mut machende Reise zwischen Glauben, Wissen und Gnade. Hahne ist ein Überzeugungstäter wie es der Namenspatron dieser Kirche, der heilige Antonius als Kirchenlehrer vor ein paar hundert Jahre wohl gewesen ist. Er überzeugt durch Beispiel.

Diakon Danzeglocke hat die Reihe „Ruhepunkt“ in der Hoffnung ins Leben gerufen, Bekenner zu finden. Verdammt mutig. Von dieser Reihe wird man später vielleicht sagen: Da sind Männer und Frauen aufgetreten in einer Zeit, in der man sich zu vielem bekannt hat, aber nicht zum Glauben. Weil Glauben eben nicht „in“ ist und im öffentlich Diskurs aus der Zeit gefallen und eher befremdlich wirkt. Etwas wie von gestern. Oder weil es einfach schwerfällt, sich in einer kriselnden Kirche zu outen.

Das will ich im Rahmen dieser Reihe heute tun:

Ein Austritt kommt für mich nicht in Betracht. Ich würde mich sonst verraten. Mein Glauben hat mir in meinem Leben über schwere Stunden hinweggeholfen. Ganz unabhängig von Menschen, die die Kirche auf Erden vertreten.

Damit stehe ich nicht allein. Viele Eintragungen in Bücher, die in Kirchen ausliegen, sprechen von Dankbarkeit. Wer sich etwa die Mühe macht, die Dankestafeln im Stoffeler Kapellchen zu studieren, weiß, wovon ich rede.

Ein gelernter Banker ist fakten-orientiert. Er kennt die Austrittzahlen und analysiert sie. Er sieht vor sich jene mächtige evangelische Kirche am Rhein in Duisburg, die für kleines Geld an einen privaten Investor verkauft wurde. Die Kirche blieb zuletzt leer. Heute dient dieses Gotteshaus als Kolumbarium für 4000 Urnen. Tote ersetzen Menschen, die Jahrzehnte dort gebetet haben. Was für eine Entwicklung.

Kein Zweifel. Die christlichen Kirchen stecken in einer tiefen Krise. In einer Vertrauenskrise, um präzise zu sein. Die Gemeinschaft der Gläubigen wo ist sie abgebildet? Den Geistlichen, die man mal als Hochwürden bezeichnet hat, schlägt verbreitet Misstrauen bis hin zur Ablehnung entgegen. Da mag man vor pauschalen Verurteilungen warnen. Individualisierbares Misstrauen gibt es hier nicht.

Der Missbrauch und der Umgang damit hat uns, der wir das Kirchenvolk sind, schwer verletzt und verunsichert. Das Evangelium und diejenigen, die es verkünden sollen, passen plötzlich nicht mehr überein. Rom hat Fehlverhalten verniedlicht, manche Bischöfe vertuschen bis heute. Wenn die Institution Kirche wichtiger ist als die Menschen und deren Leid, dann wissen Gläubige nicht mehr, woran sie sind. Die Folge: Unversehens wird Glauben privatisiert. Wenn überhaupt noch. Doch zunächst die Zahlen. Die katholische Kirche verlor im Jahr 2022 523.000 Mitglieder also über eine halbe Million. Im Vorjahr 359.000 Mitglieder. Im Jahr 2022 waren noch 20,9 Millionen Menschen ca.24,8% der Bevölkerung Katholisch. Nimmt man die ev. Kirche mit dazu waren 2022 47,5% der Bevölkerung in einer der beiden großen Kirchen. Wie dramatisch der Mitgliederschwund ist zeigt ein Vergleich mit 1990. Damals waren noch 72,3 % der Bevölkerung Mitglieder in der ev. oder r.k. Kirche. Von 650000 Einwohnern in Düsseldorf gehören nur noch 40% der katholischen Kirche = 161.000 Menschen. Inzwischen gehören die meisten Düsseldorfer und Düsseldorferinnen keiner Religionsgemeinschaft an. Diese Zahlen beunruhigen mich sehr. Wohin geht der Weg. Was tut die katholische Kirche um diesen Trend aufzuhalten?

Mit zunehmender Ungeduld erhoffen wir uns, Gott möge auch diesen Tempel reinigen. Wie seinerzeit in Jerusalem. Ich zähle mich zu denen, die Hoffnung haben.

Wie geht es weiter mit dem synodalen Weg? Kommt es gar zur Kirchenspaltung? Wie steht es um die Sexualmoral? Und wie sieht die Rolle der Frau aus? Erleben wir das Ende des Zölibats?

Setzt sich Kirche von unten bis nach oben durch?

Überall Baustellen und unklare Gemengelagen. Manche Priester äußern öffentlich, dass sie für den Kirchenaustritt Verständnis haben.

Und dann kommt einer wie ich daher und sagt: Ich werde meine Kirche trotz allem nicht verlassen, sondern will einen Beitrag zur Gesundung leisten.

Ja, es stimmt: Vieles von dem, was gern mit den Nachfolgern Christi auf Erden beschrieben wird, ist einfach nicht mehr da. Vertrauen vor allem. Von Hochwürden, Exzellenz, Eminenz und von Purpur und roten Lederschuhen mag ich nicht sprechen und suche nach Ersatz.

Wer eine Grundhaltung hat, ist vergleichsweise gut dran. Nächstenliebe, Barmherzigkeit, Respekt und Toleranz: Ich finde sie ausgeprägt in meinem Verein. Ich finde sie bei Christen, Juden, Moslems und Buddhisten. In der Weihnachtsgeschichte des Lukas-Evangeliums lesen wir vom Frieden für alle Menschen, die guten Willens sind. Dass sie nicht aussterben, darauf vertraue ich. Ich denke, wir sind viele.

Mein Gottvertrauen schließt ein, dass die verfasste Kirche und das Kirchenvolk wieder zusammenfinden. Weil Dunkelheit und Licht einander bedingen. Wenn Hochwürden, Monsignore, Eminenz und Exzellenz, wenn Gold und Seide zu dem gehören sollten, was ausgemistet gehört, gehe ich nicht auf die Barrikaden.


Eine Kirche der Demut und Bescheidenheit – sie ist meine.

 

Ich danke fürs Zuhören.


Wolfgang Rolshoven

Baas der Düsseldorfer Jonges